Forschungsprojekt Dr. Jessika Nowak
Geheimschriften im Spätmittelalter
Geheimschriften und Verschlüsselungen faszinieren seit jeher die Gemüter. Wer hat sich in der Kindheit und Jugend nicht an Zitronensaft als geheimer Tinte erprobt, eine einfache Caesar-Chiffrierung zur Verschlüsselung angewandt, sich für die tanzenden Männchen des Sherlock Holmes erwärmt oder sich in Edgar Allan Poes Goldkäfer vertieft? Doch jenseits aller Spielerei und Freude am Rätseln kommt den Geheimschriften auch im politischen und gesellschaftlichen Bereich eine ganz zentrale Bedeutung zu. Nicht ohne Grund stößt die Beschäftigung mit historischen Geheimschriften gerade in Kriegs- und Krisenzeiten, in denen den Kommunikationswegen und -mitteln eine besonders große Aufmerksamkeit zuteilwird, auf reges Interesse, galt es doch damals wie heute, mit allen Mitteln zu verhindern, dass äußerst brisante Informationen in die falschen Hände gelangten und verheerende Schäden anrichten konnten. So ist es sicherlich kein Zufall, dass im November 2022 die Entschlüsselung eines chiffrierten Briefes Karls V. hohe Wellen schlug, die einer Forschergruppe aus Nancy um Céline Pierrot und Camille Desenclos geglückt ist. Und im Februar 2023 wiederum machte die Entzifferung von einigen Briefen Maria Stuarts weltweit Schlagzeilen, die einem Team um George Lasry gelang. Während der Fokus jedoch meist auf die Frühneuzeit gerichtet wurde, fielen die extrem elaborierten Geheimschriften des italienischen Quattrocento bislang stets ein wenig unter den Radar, was wohl daran liegt, dass viele Überblicksdarstellungen zu Geheimschriften das Mittelalter entweder ganz aussparen oder ihm nur ganz wenige Seiten widmen und dass zudem die beiden längeren deutschen Darstellungen zu italienischen Geheimschriften des Quattrocento von Aloys Meister schon über hundert Jahre alt sind. Sehr viele chiffrierte Gesandtenberichte schlummern nach wie vor in den italienischen Archiven und harren noch einer Edition. Das Projekt sucht einen Zugriff über die Mailänder Geheimschriften aus der Zeit der Sforza, dabei soll u.a. den Fragen nachgespürt werden, inwieweit sich Faktoren wie Vertrauen, Zeit und Entfernungen auf das Aussehen und den Einsatz von Geheimschriften auswirkten und welche Folgen ihr Gebrauch wiederum für in die Geheimnisse eingeweihten Personenkreise und insbesondere für die über Expertenwissen verfügenden Gesandten nach sich zog.